Wir sind eine Konversationsgruppe aus Collado Villalba und Umgebung, die sich jeden Freitagmorgen trifft, um Deutsch zu üben.
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Dienstag, 30. Juli 2013

Werden wir bereits böse geboren?

Schon Babys handeln laut einer Studie moralisch. Bestimmen also die Gene, ob ein Kind als Erwachsener zum Menschenfreund oder zum Monster wird? WELT ONLINE sprach mit Psychologie-Professorin Karen Wynn über Sozialkompetenz, Erziehung und das Gewissen von Massenmördern. Von 
WELT ONLINE: Frau Wynn, in welchem Alter erlernt ein Kind positives Sozialverhalten?
Karen Wynn: Schon sehr kleine Babys zeigen ein deutliches und meines Erachtens auch angeborenes oder wenigstens evolutionär eingebautes Sozialverhalten. Wir haben Studien durchgeführt mit sechs und zehn Monate alten Babys. Dafür machten wir die Babys mit "Puppen" vertraut, die aus je einem runden, quadratischen und dreieckigen Holzklotz bestanden, denen wir große Augen angeklebt hatten. Je eine der "Puppen" mühte sich ab, einen Hügel zu erklimmen. Eine half ihr dabei. Eine andere schubste sie hinunter. Danach forderten wir die Babys auf, sich eine Puppe auszusuchen. Fast alle zogen die "Helferpuppe" der "Verhindererpuppe" vor.
WELT ONLINE: Warum sollte dieses Verhalten "eingebaut" und nicht erlernt sein? Schließlich leben auch Babys in keinem sozialen Vakuum.
Wynn: Zehn Monate alte Kinder sind sicherlich einem hohen Grad an Prägung ausgesetzt. Aber sechs Monate alte Babys hatten noch keine ausreichende Gelegenheit, dieses Verhalten zu erlernen. Sie können gerade sitzen, reagieren auf ihren Namen, verfügen aber noch nicht über sprachliche Ausdrucksmittel. Eine größere "soziale Welt" eröffnet sich erst, wenn sie beginnen zu krabbeln und Entscheidungen treffen, auf wen sie "zugehen". Wir haben ähnliche Resultate auch schon bei drei Monate alten Babys gesehen. Das lässt doch sehr darauf schließen, dass wir es mit einer Fähigkeit zu tun haben, die bereits ganz stark und ausgeprägt vorhanden ist.
Karen Wynn ist Psychologie-Professorin an der Yale-Universität. Sie erforscht das Sozialverhalten von Babys und Kleinkindern.
Foto: Yale UniversityKaren Wynn ist Psychologie-Professorin an der Yale-Universität. Sie erforscht das Sozialverhalten von Babys und Kleinkindern.
WELT ONLINE: Entscheidet das den uralten Streit, was unser Sozialverhalten formt – Umwelt oder Genetik?
Wynn: Menschen wie viele Tierarten leben in sozialen Gruppierungen. Sie müssen beständig Entscheidungen treffen, mit welchen Angehörigen ihrer Gruppe sie agieren wollen oder nicht, wer ein guter Sozialpartner ist, mit dem sie Kontakt pflegen wollen und wen sie lieber vermeiden. Meines Erachtens stehen jetzt diejenigen in der Beweispflicht, die solche sozialen Verhaltensweisen mit den Einflüssen der Umwelt erklären wollen. Unsere Ergebnisse zeigen doch sehr stark, dass wir es mit einer bereits vorhandenen Fähigkeit zu tun haben.
WELT ONLINE: Dann gäbe es ein "eingebautes" moralisches Empfinden?
Wynn: Positives Sozialverhalten muss nicht eindeutig moralisch sein. Es ist vielmehr eine Frage des eigenen Vorteils oder sogar Überlebens. Babys sind absolut hilflos – und obendrein sehr anstrengend. Eigentlich spricht sehr viel gegen sie. Also sind sie abhängig davon, sich in ein soziales Netz einzufügen, das sie mit allen physischen und emotionalen Notwendigkeiten versorgt. Deshalb brauchen sie – wie eben alle anderen sozialen Spezies – eine eingebaute Fähigkeit, gute Sozialpartner eindeutig zu identifizieren und sie für sich zu gewinnen. Es gibt starke evolutionäre Gründe, sich an jene zu halten, die sich einfügen, und jene zu meiden, die diese "Sozialverträge" nur zu ihren eigenen Gunsten ausnutzen.
WELT ONLINE: Dennoch: Zwischen gutem und schlechtem Verhalten zu unterscheiden erfordert ein hohes Maß an Abstraktion. Ist ein solches Verhalten Teil dessen, was wir "Gewissen" nennen?
Wynn: Im Sinn von moralischem Gewissen? Ich sehe durchaus Ähnlichkeiten zwischen den Bewertungen, die Babys treffen, und den moralischen Bewertungen von Erwachsenen. In unserer Versuchsanordnung waren die Babys keine aktiven Partner. Es hatte keinerlei Auswirkung auf sie selbst, ob jemand hilft oder schadet. Trotzdem bevorzugen sie den Helfer, sie sagen im Grunde: Ich mag, was du tust, und ziehe den Umgang mit dir vor. Während sie den Umgang mit jenem meiden, dessen Verhalten sie als schädlich empfinden. Sie zeigen ein Maß an Abstraktion, das wirklich erstaunlich ist. Und wir sehen dieses Verhalten schon in drei Monate alten Babys. Dennoch können wir noch nicht eindeutig sagen, ob ihre Entscheidung von einem moralischen Empfinden geprägt ist oder von der Notwendigkeit, sich aus Überlebensgründen in ein soziales Netzwerk einzudocken.
WELT ONLINE: Wie ließe sich feststellen, ob auch moralisches Empfinden angeboren ist?
Wynn: Wir arbeiten jetzt an einer Studie mit Babys und Kleinkindern, in der es um die Frage der Belohnung oder Bestrafung geht. Wer darf einen Keks bekommen, der Helfer oder der Verhinderer? Oder wir verteilen alle Kekse und erklären dann, dass wir leider einen zurückhaben müssen. Wem soll man ihn wegnehmen? Natürlich sind unsere Babys wieder nicht selbst von diesem Verhalten betroffen. Und trotzdem werden sie eindeutige Bewertungen abgeben müssen, die noch weiter entfernt sind von sozialem Eigeninteresse.
WELT ONLINE: Wir gehen davon aus, Kindern ein positives Sozialverhalten beibringen zu müssen. Verhält es sich also nicht umgekehrt: Sie besitzen es bereits, und es ist Umwelt, die sie verdirbt?
Wynn: Die meisten Babys sind sehr sozial. Im Fall von Soziopathen können wir aber gewiss behaupten, dass diese Fähigkeit geradezu zerstört wurde – wahrscheinlich in einer Mischung aus genetischen Komponenten und ungewöhnlichen Umständen in ihrer Biografie, die es ihnen nicht erlaubt haben, soziale Bindungen aufzubauen. Sie wissen zwar, was ihre Umwelt unter "Gut" und "Böse" versteht, sind aber völlig unsensibel für das Leiden anderer Menschen – oder genießen es, anderen Schmerzen zuzufügen. Auch verstehen sie wie unsere Babys unsere sozialen Verträge, haben sich aber entschlossen, dieses System auszunutzen und nur auf ihren eigenen Vorteil zu achten.
WELT ONLINE: Ist es denkbar, dass Menschen gänzlich ohne Gewissen geboren werden – wie die Massenmörder im Dritten Reich, die nach dem Ende des Krieges ein normales Leben ohne große Auffälligkeiten, aber auch ohne Reue über ihre Taten führen konnten?
Wynn: Bei solchen Akten von Massenmord spielen noch mehr Faktoren eine Rolle, darunter beispielsweise die Möglichkeit, das eigene Gewissens an eine höhere Autorität zu delegieren und zu behaupten, man habe eben nur gehorcht. Es gibt eben ebenso starke Gründe für eine evolutionäre Entwicklung eines positiven Sozialverhaltens und des Altruismus wie für das gegenteilige Verhalten, nämlich dieses "Sozialsystem" auszunutzen, solange man damit durchkommt.
WELT ONLINE: Es ging ja aber nicht nur darum, das soziale System ein wenig auszunutzen, sondern um Massenmord.
Wynn: Diese Frage kann ich natürlich nicht abschließend beantworten. Ganz sicher ist aber: Die Gattung Mensch verfügt über eine starke Gruppenloyalität. Deshalb sind wir bereit, für andere zu sterben oder eben Menschen zu töten, die nicht zu unserer Gruppe gehören. Bei Erwachsenen ist diese Loyalität sehr stark ausgeprägt und sogar an ganz trivialen Dingen festzumachen. Wenn wir unter 100 Menschen, die einander nicht kennen, je 50 rote und 50 weiße T-Shirts austeilen und dann die "Rothemden" einzeln fragen, wer intelligenter sei oder wem man zehn Dollar leihen würde, entscheiden sie sich fast immer für einen Angehörigen der eigenen Gruppe.
WELT ONLINE: Und dieses Rudelverhalten ist ebenfalls angeboren und nicht Einflüssen der Umwelt wie beispielsweise Propaganda geschuldet?
Wynn: Zumindest wollen wir jetzt bei Babys und Kleinkindern erforschen, wie sensibel sie bereits für diese Art der Gruppenloyalität sind. Ziehen sie nur denjenigen vor, der sich selbst positiv verhält, oder übertragen sie ihre Sympathie auch auf dessen Freunde. Und umgekehrt. Meiden sie nicht nur den "Verhinderer", sondern auch dessen Freunde? Unterscheiden sie ebenfalls schon zwischen Angehörigen der eigenen Gruppe und "Fremden". Da diese Versuchsanordnungen komplexer sind, müssen wir zunächst mit älteren, etwa 18 Monate alten Kindern arbeiten, bei denen Umwelteinflüsse natürlich schon stärker wirken konnten. Aber wir hoffen, auch bald Jüngere hinzuziehen zu können und damit der Frage viel näher zu kommen, was in unseren moralischen Bewertungen eigentlich der Evolution geschuldet ist.
Das Gespräch führte Sylke Tempel

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